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Mythos „Komfortzone” - Plädoyer für ein kritisches Denken in Unternehmen

Der Begriff „Mythos“ hat vielfältige Bedeutungen wie Überlieferung, Erzählung, „sagenhafte Geschichte“ oder auch Dichtung. Sprechen wir im Alltag von einem Mythos, so ist damit meist etwas Erfundenes, eine falsche Vorstellung oder märchenhafte Erfindung gemeint. Mir geht es um diese alltägliche Bedeutung des Begriffes „Mythos“.

In meiner langjährigen Arbeit mit den verschiedensten Menschen aus den vielfältigsten Branchen ist mir immer wieder die Rede von der „Komfortzone“, die doch schleunigst verlassen werden sollte, begegnet. Fast täglich erhalte ich Einladungen zu Tagungen, die dieses Thema nach wie vor penetrieren und das „Raus aus der Komfortzone“ betonen.

In mir regte sich zunehmend eine innere Abwehr gegen diese offensichtlichen „Stolperfallen im Denken“.

Mir wurde immer klarer, dass ich es hier mit einer märchenhaften Erfindung zu tun hatte. Meine Erfahrung ist, dass seit Jahrzehnten ein Change den nächsten jagt, dass auf die noch nicht abgeschlossene Restrukturierung die nächste folgt, dass auf die „Kaizen“-Offensive die „Lean Management-Methode“ folgte, eine Fusion die nächste jagt usw., usw. ..., dass Betriebsfeste ad acta gelegt werden und Weihnachtsfeiern aus Kostengründen nicht mehr erwünscht sind. Auf Wandel folgt Wandel und nichts ist fix: Von Krise zu Krise, das ist mehr und mehr Teil unserer Alltagserfahrung.

Menschen in Unternehmen und Organisationen waren und sind schon immer von Veränderungen betroffen, das wusste schon Heraklit: „panta rhei“.

Was also ist die Intention der „Komfortzonen-Erfinder“ und Märchenerzähler, die uns implizit unterstellen, wir würden uns nicht weiterentwickeln, wir müssten endlich mal raus? Raus wohin? Raus wozu?

Schaut man hinter die Aufforderungen und Appelle, unterstellen diese, dass die anderen sich eingerichtet haben in einer Zone der Sicherheit, Bequemlichkeit, Annehmlichkeit und Routine, also in einer „Wohlfühlzone“. Seit Jahren wundere ich mich darüber, dass dies noch immer widerspruchslos hingenommen und sogar unreflektiert übernommen und weitergetragen wird.

Welches Menschenbild bildet hier die Grundlage des Denkens und Verhaltens? Wer genau ist gemeint in den Unternehmen? Um wen geht es? Was ist das Motiv, Menschen so zu etikettieren? Wer hat einen Nutzen davon, andere in diese Schublade zu stecken? Was ist so schlecht daran, dass Menschen nach Beständigkeit suchen oder daran, Sorgen und Ängste zu haben? Ist der Wunsch nach Geborgenheit und „stabilen Zonen“ nicht verständlich und nachvollziehbar? Haben wir nicht alle das Bedürfnis nach Balance und Lebensqualität? Was ist negativ daran, bestimmte Gewohnheiten zu haben, die man für sich als positiv bewertet? Was soll negativ daran sein, sich mit guten Kolleg*innen seit Jahren regelmäßig zum Mittagessen zu treffen? Was soll daran negativ sein, sich wohlfühlen zu wollen, auch im beruflichen Umfeld? 

Die Rede von der Notwendigkeit, die „Komfortzone“ unbedingt verlassen zu müssen, um dieses oder jenes zu erreichen oder sich weiterentwickeln zu können, halte ich für einen gefährlichen Mythos. Gefährlich deshalb, weil die Menschen, denen unterstellt wird, in dieser „Komfortzone“ zu sein, genau wissen, dass es keine „Komfortzone“ gibt, dies aber nicht offen zugeben werden. Die Folge ist das Gegenteil einer ehrlichen Feedbackkultur und Vertrauenskultur. Im schlechtesten Fall entwickelt sich sogar eine Angstkultur.

Kurz: Wir leben in der Zeit eines nie dagewesenen technischen und gesellschaftlichen Wandels auf allen Ebenen. Es gibt in den Unternehmen keine „Komfortzone“ und es gab noch nie eine. Die Deutsche Bank plant zum Beispiel rund 18000 Stellen zu streichen.                                                                                    

Aus psychologischer Sicht ist das mit der „Komfortzone“ eine Projektion. Die Einzigen, die in dem Konstrukt „Komfortzone“ drinnen sind, sind die CEOs, die von den Folgen ihrer Entscheidungen nicht wirklich betroffen sind.

Mein Wunsch an Führungsverantwortliche: Sofort aufhören mit diesem Buzzword/Phrasengerede, damit die Mitarbeiter*innen, die hochmotiviert sind, sich mit den Unternehmen identifizieren können, Lust auf Zukunft haben und sich als Mensch endlich ernst genommen fühlen. Wenn das einzig Beständige der Wandel ist, gibt es sowieso keinen Stillstand.

Mein Wunsch an Menschen in Unternehmen: Aufstehen und hinterfragen von solchen Aussagen, Killerphrasen und Plattitüden. Sich selbst ernstnehmen und mündig sein! Jeder Einzelne hat es in der Hand, sich die Unternehmenskultur auszusuchen, die er sich wünscht.

Um es noch einmal deutlich zu machen: Ich plädiere hier für ein respektvolles Verhalten anderen gegenüber, für ein gutes Teamverhalten, insbesondere für ein Verhalten, dass sich am Ganzen orientiert. 

Ich freue mich auf einen interessanten, konstruktiven und kritischen Dialog mit Ihnen! 


Philipp Jung, Potentialentwickler